Erstellt am 6. Dezember 2024
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#steuer

 Individualbesteuerung in der Schweiz – Chancen, aktueller Stand und Zukunftsperspektiven 

Die Individualbesteuerung ist seit Jahren ein kontroverses Thema in der Schweizer Steuerpolitik. Die Einführung dieses Systems könnte nicht nur grundlegende Veränderungen im Steuersystem bewirken, sondern auch gesellschaftspolitische Fortschritte ermöglichen. In diesem Blog werfen wir einen Blick auf die Chancen, den aktuellen Stand der Diskussion und die möglichen Entwicklungen in der Zukunft.


Was ist die Individualbesteuerung?

Bei der Individualbesteuerung werden Einkommen und Vermögen jeder Person unabhängig voneinander besteuert – unabhängig vom Zivilstand. Dies steht im Gegensatz zum heutigen System, in dem Ehepaare gemeinsam veranlagt werden und das sogenannte Ehegattensplitting angewendet wird. Das aktuelle System führt oft zu einer höheren Steuerbelastung für Zweitverdiener, was als Heiratsstrafe bekannt ist.

Chancen und Vorteile der Individualbesteuerung

Die Einführung der Individualbesteuerung könnte mehrere positive Auswirkungen haben:

Förderung der Gleichstellung:

  • Frauen könnten stärker in den Arbeitsmarkt integriert werden, da das zusätzliche Einkommen des Zweitverdieners nicht mehr in höhere Steuerprogressionen fällt. Die Individualbesteuerung würde das traditionelle Rollenbild, in dem der Mann Hauptverdiener ist, infrage stellen.

Beseitigung der Heiratsstrafe:

  • Ehepaare würden steuerlich nicht mehr benachteiligt, da ihr Einkommen getrennt veranlagt würde. 
  • Auch unverheiratete Paare und Alleinerziehende würden steuerlich gleichgestellt.

Arbeitsmarktanreize:

  • Besonders Frauen mit Teilzeitstellen könnten motiviert werden, ihre Arbeitszeit zu erhöhen, da ein höheres Einkommen weniger stark besteuert würde.

Einfachere Steuerberechnung:

  • Die individuelle Besteuerung könnte das Steuersystem vereinfachen und transparenter gestalten.


Aktueller Stand der Diskussion

Politische Initiativen:

  • Der Bundesrat hat 2022 einen Vorschlag zur Einführung der Individualbesteuerung geprüft und signalisiert, dass eine entsprechende Reform grundsätzlich möglich ist.
  • Bereits heute haben einige Kantone Schritte in Richtung Individualbesteuerung unternommen, beispielsweise Graubünden, das Modelle zur Entlastung von Ehepaaren prüft.

Kostenfrage:

  • Kritiker bemängeln, dass die Umstellung auf die Individualbesteuerung hohe Kosten verursachen könnte. Der Bundesrat schätzt die Mindereinnahmen auf bis zu CHF 1,5 Milliarden pro Jahr, je nach Modell.

Gesellschaftliche Akzeptanz:

  •  Die Gesellschaft ist in dieser Frage gespalten. Während Gleichstellungsinitiativen die Einführung der Individualbesteuerung begrüssen, befürchten konservative Kreise, dass die traditionelle Familienstruktur geschwächt werden könnte.

Länderbeispiele:

  • Länder wie Deutschland, Frankreich und Österreich setzen weiterhin auf das Ehegattensplitting, während skandinavische Länder und die USA bereits seit Jahrzehnten die Individualbesteuerung anwenden.


Ausblick: Wohin geht die Reise?

Zeitplan für die Einführung:

  • Die Diskussionen auf Bundesebene laufen weiter. Eine Volksabstimmung über die Individualbesteuerung könnte frühestens in den kommenden Jahren stattfinden, da die politischen Prozesse langwierig sind.

Regionale Unterschiede:

  • Einige Kantone könnten in der Zwischenzeit eigene Lösungen zur Entlastung von Ehepaaren und Zweitverdienern umsetzen.

Mögliche Modelle:

  • Denkbar ist eine Mischform aus Individualbesteuerung und gemeinsamer Veranlagung mit gewissen Freibeträgen für Paare, um die Belastung für Familien zu reduzieren.

Langfristige Perspektive:

  • Die Individualbesteuerung könnte ein wichtiger Schritt sein, um die Gleichstellung voranzutreiben, die Erwerbsquote zu erhöhen und die Steuerbelastung gerechter zu verteilen.


Agenda

Fortschritte beim indirekten Gegenvorschlag

  • Nationalrat (25. September 2024): Zustimmung zum Bundesgesetz über die Individualbesteuerung (98 zu 93 Stimmen). Ziel: Entlastung von Zweitverdienern und Alleinerziehenden.
  • Sistierung der Volksinitiative: Die Initiative «Ja zu fairen Bundessteuern auch für Ehepaare» wird bis zum 8. März 2026 pausiert.
  • Nächste Schritte: Das Geschäft wird seit November 2024 im Ständerat beraten.

Bundesrat und Volksinitiative

  • Bundesrat (26. Juni 2024): Auftrag an das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD), bis 27. März 2025 eine Botschaft zur Volksinitiative vorzulegen.
  • Empfehlung: Ablehnung der Initiative ohne Gegenvorschlag, da sie nur Ehepaare begünstigt und unverheiratete Paare benachteiligt.

Nächste Schritte

  • Ständerat: Beratung und Entscheid über das Gesetz zur Individualbesteuerung (2025).
  • Volksinitiative: Weitere Klärung, ob eine Volksabstimmung erforderlich wird. 


Fazit

Die Einführung der Individualbesteuerung wäre ein Meilenstein in der Schweizer Steuerpolitik, der weit über die blosse Steuerberechnung hinausgeht. Sie birgt Chancen für mehr Gleichstellung, Arbeitsmarktbeteiligung und Gerechtigkeit. Gleichzeitig stehen Fragen zu ihrer Finanzierbarkeit und gesellschaftlichen Akzeptanz im Raum.